Regenbogenfabrik - Raum geben, um Dinge möglich zu machen

Die letzten Tage meiner Studienzeit haben begonnen. Mein blaues Heft ist vollgeschrieben, in meinem Blog hatte ich die Datenkapazität überschritten. Jetzt wurden einige Fotos gelöscht, um noch ein wenig Speicherplatz zu schaffen. Ich versöhne mich damit, dass ich viele Orte gelebter Visionen vielleicht später einmal besuchen werde. 

Mein letzter Besuch gilt einem Ort, den ich besonders mag, der unseren Kiez mitprägt, 15 Gehminuten von Martha entfernt:

Kinder- Kultur- und Nachbarschaftszentrum Regenbogenfabrik, Lausitzerstraße 22.


Ich zitiere aus dem Flyer vom August 2019:

“Die Regenbogenfabrik entstand 1981 in der Westberliner Instandbesetzer*innenbewegung. Neben der Kritik an der menschenverachtenden Baupolitik bildeten soziokulturelle Themen einen besonderen Schwerpunkt. Innerhalb von Kreuzberg entwickelte sich eine vielfältige Alternativkultur. Gleichwohl Vieles davon inzwischen verschwunden und unser Kiez im Umbruch ist, verstehen wir uns immer noch in dieser Tradition.

Unsere Schwerpunkte sind:

Generationsübergreifende Nachbarschaftsarbeit

Selbstverwaltung und Hilfe zur Selbsthilfe

Kultur- und Medienbereich “von unten“

Zusammenhang von Wohnen, Leben und Arbeiten

Zusammenarbeit von Menschen mit und ohne Behinderungen

Basisdemokratische Entscheidungsstrukturen


Solidarische Ökonomie:

Die Regenbogenfabrik arbeitet im Rahmen einer solidarischen Ökonomie, das heißt, es geht darum, wie Produkte hergestellt und verkauft werden (solidarische Arbeitsbedingungen), was angeboten (gemeinsame Entscheidung über sinnvolle Produkte) und vor allem, wie der gemeinsam erwirtschaftete Gewinn verteilt wird. In diesem Zusammenhang geht es nicht um “non profit“ sondern um “not for private profit“.

Das geschieht in der Regenbogenfabrik im Rahmen eines gemeinnützigen Vereins mit der Kita, der Fahrrad- und der Holzwerkstatt und dem Kulturbereich, einer UG mit Kantine und Hostel und dem Café als eigenständigem Wirtschaftsverein. Außerdem arbeiten wir in Kooperation mit anderen sozialen Betrieben und Einrichtungen...“

Gemeinschaftsraum mit Dachterrasse
Gemeinschaftsraum mit Dachterrasse

Ich treffe mich mit H. Für mich ist sie die Seele der Regenbogenfabrik. Und ich kenne sie aus anderen Zusammenhängen: Berliner Wassertisch, Meditation, Bewegung der Arbeitergeschwister...Sie ist seit 1981 dabei und führt mich mit spürbarer Freude und Überzeugung durch das Ensemble der Regenbogenfabrik vom Blockheizkraftwerk und der Regenwasseranlage im Keller über die Räume des Hostels, Fahrradwerkstatt, Gemeinschaftsküche bis hin zum Gemeinschaftsraum mit Dachterrasse unterm Dach und dem Gründach. Schon 1997 wurde von der Ökologie dieses Ortes berichtet: Ökologo - Regenbogenfabrik unser kleines Dorf.

Zusammen mit circa 30 Personen wohnt sie im Hinterhaus, das “hinterm Regenbogen“ genannt wird. Bis jetzt war ich immer abends zu Festen und Kulturveranstaltungen da. Ich bin beeindruckt, wie lebendig, bunt und fröhlich das Treiben am Tag ist. Alles hat eine liebevolle und freundliche Ausstrahlung. Und alles scheint mir gut geordnet und bestens organisiert. Und bei aller Lebendigkeit nehme ich eine Ruhe und Konzentration wahr.


2. Hinterhaus “hinterm Regenbogen“
2. Hinterhaus “hinterm Regenbogen“

Im Wohnhaus gilt der Grundsatz: jede Person ein Zimmer, dazu großzügige Gemeinschaftsräume samt Sauna, Dachterrasse und Hinterhofgarten mit großem Esstisch. Für H. ist dieses Leben in Gemeinschaft die stimmige Lebensform. Hier hat sie eine Familie gegründet, Kinder groß gezogen, ihren Bruder gepflegt. Hier war und ist sie ehrenamtlich aktiv. Hier und von hier aus ist sie ihrer Berufung innerhalb der Arbeitergeschwister nachgekommen. Von hier aus hat sie in Gesellschaft und Politik hinein gewirkt: Mütter und Väter gegen atomare Bedrohung, Kontakte nach dem damaligen Ostberlin, Attac, Berliner Wassertisch, Blue community... Sie sagt:“Wir haben immer das gemacht, was uns wichtig ist.“ Und: “Jesus hat seinen Jünger*innen die Füße gewaschen, nicht den Kopf.“

Nun ist sie engagierte Rentnerin und genießt den Luxus, ausschlafen zu können und in Ruhe die Zeitung zu lesen.

Viel Zeit verbringen wir zusammen und doch kann nur ein kleiner Teil der Geschichte und Gegenwart der Regenbogenfabrik zur Sprache kommen und nur einige Facetten ihres sehr reichen und bewegten Lebens.

Aber dreierlei ist mir klar:

- Für H. ist es ein sehr passender Ort auch für die Lebensphase des älter und alt werdens.

- Generationsübergreifende Nachbarschaft wird auch hier in fruchtbarer Weise gelebt. H. ist mit ihrem Erfahrungsreichtum und ihrer Spiritualität ein starke Kraft in der Regenbogenfabrik.

- Die Regenbogenfabrik hat Zukunft. Sie wird gebraucht in einem sich nicht nur zum Guten wandelnden Kiez. Ja, die Alternativkultur mit ihren Werten scheint mir wichtiger denn je.


Bevor ich den Wohnbereich verlasse, zeigt sie mir noch im Flur eine Gedenkfotowand. “Das sind unsere geliebten Verstorbenen. Sie gehören zu uns.“ Und manche sind für unser Empfinden viel zu früh von dieser Erde gegangen. Und auch dieser Schmerz hat Raum in den Herzen und in der Gemeinschaft.



Dankbar und bewegt verabschiede ich mich von H., von der Regenbogenfabrik, von dem Ort, “der Raum gibt, um Dinge möglich zu machen“, wie H. sagt. Ach, das ist eine gute  Brücke zu Martha, wo uns wunderschöne Räume geschenkt sind, um Dinge möglich zu machen. Und zu den Ermöglichungsräumen in Martha gehörte auch die Kiezhochzeit mit katholischer Trauung in einer evangelischen Kirche im ökumenischen Geist, die H. vor vielen Jahren hier gefeiert hat, und ein Orientierungskurs von Frau und Beruf e.V. im Martha Frauencafé.


Es bleibt mir nur noch ein großes Dankeschön zu sagen allen, die mir Türen und Herzen geöffnet haben, an deren gelebten Visionen ich teilhaben durfte mit all ihren Brüchen, Fragen, dem Uneingelösten.

Ein großes Dankeschön allen, die sich Zeit genommen haben, in meinem Blog zu lesen und die mir die ein und andere Rückmeldung geschenkt haben.

Ich schließe diesen Blog mit dem Segen, den ich bald wieder im Martha Gottesdienst sprechen werde:

Gott, Mutter-Vater allen Lebens, 

liebende Gegenwart,

segne und behüte dich,

es leuchte dir ihr Angesicht, 

umhülle dich zärtlich mit Güte 

und schenke dir den Frieden.

Geht hin im Frieden. Geht hin und bringt Frieden.

Geht hin im Segen. Geht hin und seid ein Segen, für die Menschen und für unsere Erde.

Amen.