WeiberWirtschaft - “Unsere Luftschlösser haben U-Bahn Anschluss"

“Unsere Luftschlösser haben U-Bahn Anschluss“, so das Motto der WeiberWirtschaft eG zum 25-jährigen Jubiläum. Der U-Bahn Anschluss ist die U 8 Bernauer Straße und die Adresse die Anklamer Straße 38. 

1985 begann der Prozess der Gründung der Frauengenossenschaft WeiberWirtschaft eG, die sich heute als Europas größtes Gründerinnen- und Unternehmerinnenzentrum bezeichnen kann. Es ist eine eindrückliche Erfolgsgeschichte, die da mit einem 80-er Jahre Traum ihren Anfang nahm.

Am Eingang der Anklamer Straße 38
Am Eingang der Anklamer Straße 38

“Männer gründen anders als Frauen. Und da Männer einstweilen noch das Maß der Dinge in der Wirtschaft sind, werden Gründungen von Frauen vielfach immer noch als defizitär angesehen: Angeblich gründen Frauen zu klein, in den “falschen“ Branchen, sind risikoavers und zu wenig wachstumsorientiert. Alles eine Frage der Perspektive, meinen wir! Man kann auch umgekehrt die Tatsache hervorheben, dass von Frauen gegründete Unternehmen krisenfester sind, dass sie größeren Wert auf soziale und ökologische Nachhaltigkeit legen und die Nase vorn haben bei den wissensbasierten Dienstleistungen.“ So ist zu lesen in einer Broschüre von Juni 2014: WW eG Standort für Chefinnen.

Ich füge hinzu: Alles eine Frage der Perspektive. Der Wert sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit muss und wird in einer Postwachstumsökonomie an Bedeutung gewinnen. Und diesen Wandel brauchen wir, um der Erde, des Klimas und der Menschen willen. Diese Erkenntnis reift bei Frauen, Männern, allen Geschlechtern.

Ich bin mit Dr. Solange Wydmusch verabredet. Sie ist Gründerin und Chefin der Firma Limest - marketresearch. Ich kenne und schätze sie von Prozessen und Werktagen in unserem Kirchenkreis, die sie kundig, einfühlsam und mutig moderiert hat. Es war für mich eine schöne Überraschung zu hören, dass ihr Büro in der WeiberWirtschaft ist und eine willkommene Gelegenheit, den Ort kennen zu lernen, von dem ich schon viel gehört habe. Schließlich ist ja Frau und Beruf e.V. unsere Kooperationspartnerin unter einem Dach und einige Visionen und Wege zu ihrer Verwirklichung sind ähnlich: Empowerment, Vernetzung, Erfolgsteams.... Und beides nahm in den 80er Jahren seinen Anfang und hat bis heute Wirkkraft. 

Blick aus dem Fenster von Dr. Solange Wydmusch
Blick aus dem Fenster von Dr. Solange Wydmusch

Frau Wydmusch schenkt mir viel Zeit. Sie lässt mich teilhaben an ihrem Weg zur Gründerin und zur WeiberWirtschaft. Sie kommt aus einem “einfachen Haushalt“. Der berufliche Weg sollte in die Sicherheit führen. Gegenüber Selbstständigkeit herrschte Skepsis. Vor 20 Jahren kam sie aus dem Elsaß nach Frankfurt/ Oder an die Viadrina Universität und dann nach Berlin. Im Alter von 39 Jahren reifte der Entschluss: Jetzt wag ich's! 

Und dann die Wahl des Ortes. Der Hof hat ihr gefallen und die Idee. Sie bewarb sich bei der WeiberWirtschaft und wurde Teil von ihr, Genossin und Mieterin. Ihr Büro ist im 2. Hof, 3. Aufgang, 4. Etage. Für 80 qm zahlt sie 1000 Euro monatlich, sie schätzt die Miete als fair ein. Auf jeden Fall ist das Büro wunderschön, der Lärm der Straße ist weit weg. Wir hören das Rauschen der Blätter im Wind. Die Büros werden nach Gründerinnen benannt. Ihres erinnert an Melitta Bentz, die 1908 den Einweg Kaffeefilter erfunden hat. Das Büro eine Etage tiefer erinnert an Hildegard von Bingen, die ja auch Gründerin war, Heilerin, Wissenschaftlerin, Ökologin und vieles mehr.


   

Was war und ist Solange Wydmusch wichtig und wertvoll an diesem Ort? 

Jede Gründungsphase hat ihre Durstphasen. Die Gründerinnen sind mit ihren Gefühlen, Fragen, Herausforderungen nicht allein. Es ist ein gewisser Spirit, eine Atmosphäre des einander nahe fühlens. Schöne Kontakte, hilfreiche Begegnungen und Vernetzungen entstehen beispielsweise beim Mittagessen im Restaurant im Haus Parterre. Organisierte Stammtische haben sich für sie nicht bewährt. “Das Ehrliche funktioniert sehr gut.“ Erfolgreiche Unternehmerinnen unterstützen Gründerinnen. Es war eine Initiative innerhalb der WeiberWirtschaft, geflüchteten Frauen durch Praktika und Mentoring den Weg in die Erwerbstätigkeit zu erleichtern. Empowerment in vielfältiger Hinsicht!

Die Erfolgsgeschichte der WeiberWirtschaft ist lang, traditionsreich, eindrücklich. “Fast 2000 Frauen haben sich der inspirierenden Idee eines selbstbestimmten Gründerinnen- und Unternehmerinnenzentrums bis heute angeschlossen und es werden jeden Tag mehr.“ So ist auf der Webseite zu lesen. 7000 qm Nutzfläche können zu fairen Mietpreisen von Gründerinnen und Unternehmerinnen gemietet werden. Dazu gibt es die Gründerinnenzentrale, die sich als Navigation in die Selbstständigkeit versteht. Es gibt als Starthilfe einen Mietrabatt und die Möglichkeit eines WeiberWirtschaft-Mikrocredit. Die WW hat sich den Zielen der Nachhaltigkeit verpflichtet. Sie hat in den 90er Jahren die “erste ökologische Gebäudesanierung in Berlin“ durchgeführt.

Sie hat zahlreiche Preise gewonnen:

2004 vom NABU für das ökologische Gesamtkonzept

2005 Mitmacher der Nation

2007 Familienfreundlicher Betrieb

und manches mehr.

Es lohnt sich, die Webseite anzuschauen und da vor allem die “Herstory“ zu studieren.

Was aber sind die Herausforderungen?

Solange Wydmusch benennt dreierlei:

- Die Luftschlösser haben nicht nur U-Bahn Anschluss, sondern auch Menschen bekommen und damit auch Konflikte. Hierfür gibt es die Einrichtung des “Klärwerks“. Aber, wie das so ist: Nicht alles kann geklärt werden.

- Unter den Genossinnen wird überlegt, ob ehemalige Gründerinnen, die jetzt erfolgreiche Unternehmerinnen sind, nach einer gewissen Anzahl von Jahren sich einen anderen Ort suchen sollen, um neuen Gründerinnen Platz zu machen. Welche Härten und Verwerfungen würde das mit sich bringen?

- Wie passt eine Frauengenossenschaft in eine Gender-gerechte Gesellschaft? Wo findet die Weiterentwicklung der Vision statt, die Empowerment von Frauen mit den Erkenntnissen der Gender-Forschung ins Gespräch bringt?


Auch hier empfinde ich es als Geschenk, dass ich sowohl an den gelebten Visionen teilhaben darf, den persönlichen Wegen und Entwicklungen der Organisation, als auch an den Suchbewegungen, den Widersprüchen und Herausforderungen.

Danke, liebe Solange Wydmusch! Danke, liebe Visionärinnen und Realistinnen der WeiberWirtschaft!