Hausprojekt Zorro - solidarisch und selbstorganisiert

Heute bin ich mit Josephine und Leh im Hausprojekt Zorrow in Panko e. V.verabredet. Von der Osloer Straße kommend macht die Grüntaler Straße mit ihrem Grünstreifen einen freundlichen Eindruck. Nachdem ich bei der Nummer 38 in das Hinterhofensemble gelange, empfängt mich eine bunte, lebendige, einladende Atmosphäre. 

Zorro, der Rächer der Enterbten oder auch der “Enträchteten“ war eine Comicfigur in den 70ern und 80ern des Comiczeichners Fuchsi und allen TAZ Leser*innen wohl vertraut. Von Pankow wurde das w geklaut und so war Zorrow in Panko kreiert.

1983 wurde das Hausprojekt Zorrow im Wedding “hart an der Mauer“ gegründet. Thomas-Dietrich Lehmann, genannt Leh, war dabei und ist es bis heute. Es war die Zeit der Kahlschlagsanierung und der Hausbesetzungen. Ungefähr 20 “Gründungszorros“, wie Leh sie nennt, suchten Räume für ihre Visionen von selbstorganisiertem und solidarischem Zusammenleben mit einem hohen Maß an Wohnsicherheit und Gestaltungsfreiheit. Das Martinswerk hat die Trägerschaft übernommen und hat sie bis heute inne. Zorrow hat einen Kollektivmietvertrag mit günstiger Miete über 1200 qm Nutzfläche. Dabei ist ein großer Teil gemeinschaftlich genutzt. Und es gibt einige “Soli-Wohnungen“ für Menschen mit Fluchterfahrungen und politisch Verfolgte, die keine oder wenig Miete bezahlen können. Insgesamt wohnen gegenwärtig ungefähr 35 Menschen hier.

Ich habe das große Glück, mich mit Josephine und Leh treffen zu können. Josephine lebt seit drei Jahren hier. Ich kenne und schätze sie als ehrenamtliche Pfarrerin in Martha mit befreiungstheologisch-queeren Wurzeln. Sie ist ziemlich am Anfang ihres Berufslebens und lebt seit drei Jahren im Hausprojekt. Leh war Mitgründer, lebt seit 36 Jahren hier, ist Jahrgang 1955 und war sehr vielfältig engagiert als ehrenamtlicher Pfarrer, Taxi Fahrer für “Taxiwallfahrten“,  Geschäftsführer des Umbruch.... Seine linke Geschichte würde ein dickes Buch füllen. Ich selbst habe seinen Weg aus der Ferne mit Respekt und Sympathie verfolgt. Und, wie ich höre, er den meinen als einen, wo Spiritualität und Engagement eine Einheit bilden, was mich natürlich sehr freut.

Was nun ist aus den Visionen der Gründer*innen geworden? Was hat Josephine dazu bewogen, gemeinsam mit ihrer Familie hier Teil der Gemeinschaft zu werden?

Seit sie 10 Jahre alt ist, so erzählt Josephine, lebt sie in Gemeinschaften. “Ich habe Ziele, die wir nur gemeinschaftlich realisieren können.“ In Zorrow wird eine finanzielle Solidarität realisiert. Die Bewohner*innen zahlen Miete nach ihren Möglichkeiten. Heteronormative Muster werden aufgebrochen. Linke Strukturen werden ausprobiert und eingeübt. Wir lernen die Lebenswirklichkeiten voneinander kennen, Kulturen, Religionen, Milieus kommen in intensiven Kontakt. Ein großer Gemeinschaftsraum Parterre steht dem Kiez umsonst zur Verfügung: Food coops, queere Gebärdengruppe, queere Lesebühne, Bewegungen gegen Gentrifizierung....

Josephine's Schreibtisch
Josephine's Schreibtisch

Was sind die Themen und Herausforderungen im Hausprojekt, was bewegt die Gemüter?

Von dreierlei wird mir erzählt:

Die Soliwohnungen sollen zum einen vorübergehende Schutzräume sein für Geflüchtete, die sonst auf der Straße leben würden und keinerlei Lebensgrundlage haben. Vorübergehender Schutzraum bedeutet Fluktuation. Dies gilt es ins Verhältnis zu setzen zu dem Anliegen eines Zusammenlebens und Zusammenwachsens von Personen mit verschiedenen und vielfältigen Lebensverhältnissen. Das braucht Kontinuität. Leh spricht von der “Kontinuität kommunitären Lebens“, von der “hedonistischen Linken“ als Ergänzung zu Altruismus, von einer “Freiraumvision“. 

Gemeinschaftsraum, in dem die Plenata statt finden
Gemeinschaftsraum, in dem die Plenata statt finden

Eine weitere Herausforderung: Solche und andere Themen werden bei den Plena verhandelt, die im Abstand von jeweils 15 Tagen statt finden, um die Wochentage zu wechseln und allen Bewohner*innen ein Teilnehmen zu ermöglichen. Es ist eine Kunst, diese so zu gestalten, dass sprachliche und kulturelle Barrieren überwunden werden. Es gibt ein analoges Protokollbuch, eine “Emo-Runde“, in der vom Befinden und alltäglichen Leben erzählt wird, jedoch auch jede Menge Dinge der Selbstverwaltung, was nicht allen selbstverständlich zugänglich ist.

Bücher und Kleider tauschen odrr einfach nehmen
Bücher und Kleider tauschen odrr einfach nehmen

Schließlich: der Kollektivmietvertrag läuft bald aus. Dann muss neu verhandelt werden. Leh sagt: Eine Gründungsvision ist uneingelöst, nämlich das Zorrow-Ensemble aus den Fängen der Immobilienwirtschaft zu entreißen. So lauert das Thema Gentrifizierung und Verdrängung immer wieder im Hintergrund. Die Vision einer anderen Erfahrung und Lebenswirklichkeit inmitten des Kapitalismus ist gefährdet. 

Ich hoffe mit den Visionär*innen, dass dieser Freiraum für gelebte Visionen erhalten bleibt und weiterhin Raum hat sich weiter zu entwickeln. Und ich denke dankbar daran, dass wir Gemeinden auch Vermieter*innen sind und neben allen wirtschaftlichen Notwendigkeiten auch Freiräume verwirklichen können. Und wir denken an unsere Kollegen Ecki Gahlbeck und Jürgen Quandt, die durch den Friedhofsverband Vieles ermöglichen, vielleicht ja auch ein “Wohnen im Alter für Gründungszorros“?

Danke, Josephine und Leh, für eure gelebten Visionen, an denen ich teilhaben durfte!