Mutbürger*innen in Joachimsthal

Vielleicht vor einem viertel Jahrhundert haben wir uns zuletzt gesehen. Sie war Vikarin in Martha, wo ich seit 30 Jahren Pfarrerin bin. Dann war sie bei Aktion Sühnezeichen beschäftigt, hat dies, wie alles, was sie tut, mit ganzem Herzen getan. Und dann, vor 25 Jahren, wurde Beatrix Spreng  Pfarrerin in Joachimsthal. Immer wieder habe ich von ihr gehört, von Anfeindungen aus dem rechten Lager und von jeder Menge Mut und Widerstandskraft. Die TAZ hat ihr einmal einen würdigenden Artikel gewidmet, auch andere Medien insbesondere von einer beeindruckenden Jugendarbeit erzählt, die den Jugendlichen auf dem Land eine attraktive Alternative zu rechten Bewegungen bietet.

Ich finde heraus, dass sie heute um 10.30 Uhr Gottesdienst hat. Vor zwei Tagen haben wir telefoniert. Ein herzliches Willkommen strahlte mir entgegen, obwohl das Wochenende wirklich angefüllt ist: Jugendplenum, Goldene Hochzeit, Demo in Eberswalde, Trauergespräch, Gottesdienst, Sonntagsfrühstück. Wir überlegen, ob wir uns bei der Demo treffen, es ist eine Woche vor den Wahlen in Brandenburg. Jedoch ist es mit der goldenen Hochzeit zeitlich nicht zu vereinbaren und wir unterstützen die Demonstrierenden für Toleranz und Vielfalt aus der Ferne. 

Ich verbinde den Besuch bei Bea mit einem Hineinschnuppern in die Kommunität Grimnitz, die mit der Kirchengemeinde verbunden ist. Am Samstag Abend reise ich an, genieße diesen wunderschönen Ort und freue mich auf den Gottesdienst mit Bea.

Mit zwei Frauen aus der Kommunität machen wir uns auf den Weg zum Gottesdienst. Schon der Weg, gesäumt von hohen, machtvollen Bäumen, ist eine Andacht.

Die Schinkelkirche ist hell und hat eine einladende Atmosphäre. Der Altarbereich spricht mich an. Vielleicht 30 Menschen sind versammelt. Bea und zwei Musizierende gestalten den Gottesdienst zugewandt, engagiert, liebevoll. Es geht um die Weisung, Gott, sich selbst, die Nächsten zu lieben, um den G7 Gipfel, den brennenden Amazonas, Hans Küng und den Weltethos, der deutlich macht, dass im Tiefsten alle Religionen Wege zu einem guten Miteinander weisen, zu Frieden. Ein Mitprediger ist ein Heupferdchen. In Zeiten des Insektensterbens nehmen wir sein überraschendes Dabeisein als Hinweis, dass die Liebe auch das kleinste Wesen meint.

Anschließend lädt die Gemeinde ein in den Garten des Pfarrhauses zum Frühstück. Alle helfen mit, der Tisch wird reich gedeckt. Eine Frau spielt zur Einstimmung auf der Querflöte und leitet ein Tischgebetslied an. Das Essen ist lecker, die Begegnungen lebendig, die Gespräche engagiert. Menschen aus Joachimsthal sind da, Besucher und Touristinnen, zwei Geflüchtete, die in der Gemeinde Heimat gefunden haben, eine Frau aus London, die erst seit zwei Jahren hier lebt. So soll es sein, denke ich. Gemeinde bringt Menschen verschiedener Milieus zusammen. Als wir auseinander gehen, haben wir etwas Verbindendes miteinander erlebt.

Nach dem Sonntagsfrühstück haben wir noch Zeit für ein Gespräch zu zweit. Aus einer geplanten halben Stunde werden zwei. 

Nach 25 Jahren Pfarrerin in Joachimsthal, ein Jahr vor dem Eintritt in den Ruhestand: Welche Visionen von Gemeinde und Pfarrerinsein konnte Bea verwirklichen?

Es fällt ihr leicht, davon zu erzählen:

Ein offenes gastfreundliches Pfarrhaus, gemeinsames Kochen und Essen, Tischrunden, bei denen es einen “Jesusteller“ gibt, ein Gedeck für einen überraschenden Gast. Gemeinde lehrt, Familie weit zu denken und zu erfahren, die unterschiedlichsten Charaktere gehören dazu. Die Pfarrerin ist dann Teil dessen, erfährt Korrektive und darf auch mal schlecht gelaunt sein. Gemeinde ist, wo wir gemeinsam füreinander und für andere da sind. Eine starke Gemeinschaft kann eine starke Außenwirkung entfalten und Viele einbeziehen.

Spiritualität und politische Aktion gehören zusammen. Spiritualität hat ihren Ort mitten im Alltag, wenn wir mitten im Gespräch inne halten und eine Kerze anzünden.

Und dann ist natürlich BAFF eine gelebte Vision - Bands auf festen Füßen. Bald feiern sie 25-jähriges Jubiläum. 30 bis 70 Jugendliche sind über die ganzen Jahre in Bands und Tanzgruppen eingebunden. Der Gemeindekirchenrat startete das Projekt, als er feststellen musste, dass viele Jugendliche, auch Konfis, bei ausländerfeindlichen Übergriffen beteiligt waren. BAFF hat hier viel verändert. Heute gehen Jugendliche zu Demos für Toleranz oder beteiligen sich beim Kinderkarneval der Kulturen in Berlin. Bea schätzt es so ein, dass von nahezu jeder Familie in Joachimsthal mindestens ein Kind bei BAFF engagiert war oder ist. Und alle Bands proben in der Kirche und sie wissen, wofür ihre Kirche steht. Und das Jahresmotto zum 25-jährigen Jubiläum heißt: Mut statt Wut.

Herzlichen Glückwunsch zu 25 Jahre BAFF und zu 25 Jahre gelebte Vision als Gemeinde der Mutbürger*innen.