Pikpa - das heilsam alternative Flüchtlingscamp auf Lesbos

Meine sehr geschätzte Kollegin Ute Gniewoß hat ihre 3-monatige Studienzeit auf der Insel Lesbos in einem alternativen und selbstorganisierten Camp für Geflüchtete verbracht. Es war für mich klar: Davon will ich mehr erfahren. Es klang nach gelebten Visionen, wie ein Zusammenleben mit Geflüchteten sein kann. Ich freue mich, dass ich über eine Rundmail mitbekommen habe, dass Ute am 15. August im Café der Heilig-Kreuz Kirche davon mit Fotos erzählt.

Gestern Abend war ich da. Ute begrüßt auf dem Vorplatz. Das Café füllt sich. Manche der Anwesenden kenne ich und wir freuen uns, einander wieder zu sehen. Die Atmosphäre ist schön, persönlich, interessiert. Ute stellt drei Leute aus der Gemeinde vor, die auch da waren. Auch sie kommen mit ihren Erfahrungen zu Wort. Die Erzählung von Ute ist bewegt und bewegend, von tiefem Respekt geprägt. 

Zuerst führt sie uns in die Situation auf Lesbos ein, wo viele Fliehende ankommen, weil der Meerweg von der Türkei ein kurzer ist. Kurz und dennoch gefährlich. Wir erfahren von Lesbos Bewohner*innen, die mit bunten Fahnen am Strand standen, um den Schlauchbooten den Weg zu weisen, von einem Friedhof für Ertrunkene, von einem Friedhof der Rettungswesten. 

Ute erzählt von der großen und selbstverständlichen Hilfsbereitschaft vieler Menschen auf Lesbos, die auch in eigenen Fluchterfahrungen gründet. Das größte und “offizielle“ Camp der Insel ist Moria. Hier herrscht oft Enge, Überfüllung, Überforderung. Und das führt dann zu Konflikten und einem erneuten Traumatisieren von traumatisierten Menschen. Und, wir wissen, jegliche Überheblichkeit unsererseits wäre fehl am Platz. Die prekäre Situation hat mit dem EU - Türkei Deal zu tun, der dazu führte, dass die Geflüchteten wie in einer Falle fest saßen.

Und dann wurde das “Dorf der alle zusammen“ gegründet, eine Initiative, die Geflüchtete und verarmte Griech*innen unterstützt hat. Im Jahr 2012 besetzte die Initiative ein nicht mehr genutztes Kinderfreizeitcamp, um in der Stadt campierende Geflüchtete unterzubringen. Und daraus entwickelte sich das “open solidarity refugee camp“ - Pikpa und die Organisation “Lesvos solidarity“.

Insbesondere verletzte und verletzliche Personen finden hier Raum, LGBTIQ Personen, die in Moria mit Anfeindungen zu rechnen haben, Schwangere und Familien mit Neugeborenen. Durch die Fotos und Erzählungen bekommen wir den Eindruck eines wundervoll warmherzigen, schönen und lebendigen Ortes. Ein Gemeinschaftsgarten ist entstanden. Grüne Bäume schenken Schatten, es ist bunt und verspielt, und die kleinen Holzhäuschen machen einen warmen und behüteten Eindruck. Familien und zueinander passende Personengruppen bekommen ein eigenes Holzhäuschen. Das gibt Privatsphäre und die Möglichkeit, selbst nach der eigenen Kultur zu kochen. Jede Gruppe bekommt drei Mal in der Woche frische Lebensmittel, dazu noch eine bescheidene finanzielle Grundausstattung vom UNHCR.  Wie heilsam und ermächtigend! Und die, die nicht selbst kochen können, für die wird gekocht und sie nehmen an dem gemeinsamen Mahlzeiten mit den ehrenamtlich Mitarbeitenden teil.

Ute sagt: “Wenn eine Initiative verstanden hat, dass Würde und Schönheit zusammen gehören, ist sie nach meinem Eindruck weit gekommen.“

Das ist “mikros dunjas - die kleine Welt“ ein Waldkindergarten für geflüchtete und griechische Kinder. Auch in die Schule gehen sie gemeinsam. 

Mit viel Respekt und Liebe erzählt Ute von den Geflüchteten, beispielsweise von der Frau im Rollstuhl, die im Ramadan für vier Gemeinschaften gekocht hat, deren Bedürftigkeit ihre eigene vergessen ließ. Und sie erzählt Beeindruckendes von den Freiwilligen, die ihre vielfältigen Kompetenzen und Begabungen einbringen. Manche tun dies jedes Jahr und machen das Leben und Arbeiten im Camp zu ihrem Lebensmittelpunkt. Und so kann viel Heilsames stattfinden, gebückte Menschen richten sich wieder auf, in ihre Traumatisierungen verschlossene treten nach und nach in Kontakt und erleben Momente von Freude. Es wird viel gefeiert im Camp. Und nach dem Essen beginnt das Tanzen und das ganz und gar ohne Alkohol.

Und es wird gemeinsam gearbeitet, Geflüchtete, Griech*innen und Ehrenamtliche, alle so, wie es jetzt geht. Zur Menschenwürde gehört eben auch, sich mit den eigenen Fähigkeiten in eine Gemeinschaft einzubringen. Heilung und Empowerment, Teilhaben und Mitwirken. Eine Vision, wie es anders gehen kann.

Aber Pikpa ist gefährdet. Zum einen gehen die Spendengelder zurück. Zum anderen hat die neu gewählte Partei “Neo Demokratia“ die Schließung des Camps auf ihre Fahnen geschrieben.

Was können wir tun? Spenden. Die Entwicklungen in Griechenland aufmerksam verfolgen, auch unsere Rolle dabei. Und, darauf weist Ute immer wieder hin: Urlaub auf Lesbos machen. Der Tourismus ist nach 2015 um 70 Prozent eingebrochen. Und das Camp und die ganze Insel sind ganz und gar es wert, entdeckt, geliebt und unterstützt zu werden.