Heilsames

Kirche in Winnenden
Kirche in Winnenden

Wir übernachten in Winnenden. Unsere Unterkunft ist stilvoll und freundlich, die Gastgeber*in verbindlich und sympathisch. Und wieder begegnen wir uns fernen Lebenswelten. Unsere Mitbewohner sind Monteure und Männer in Krisensituationen. Alle kommen sie aus den neuen Bundesländern. Sie haben es gut hier. Und wir diskutieren bis in die Nacht, und viel Verbitterung und Empörung schafft sich Ausdruck. Wir werben dafür, Zusammenhänge zu verstehen und die Empörung an die verantwortliche Stelle zu richten. Beispielsweise nicht auf die Geflüchteten, sondern auf die, die Fluchtursachen schaffen durch ungerechtes Wirtschaften, Kriege, Destabilisierung ganzer Regionen, Rüstungsexporte... Es geht streitbar zu. Am Ende bedankt sich unser ausdauerndster Gesprächspartner für das Gespräch.

Auf dem Weg durch Winnenden durchqueren wir das Zentrum für Psychiatrie. Ich erinnere mich daran, welche Vorstellung ich als Kind von Winnenden hatte. Winnenden war ein Synonym für Irrenhaus und davon hatte ich die abenteuerlichsten Vorstellungen. Immer mal wieder hörte ich von jemandem, der/die in Winnenden sein muss. 


Nun, diese Vorstellung wird kräftig korrigiert. Wir durchqueren ein großzügiges, weites, freundliches und ästhetisch angelegtes Gelände mit Teich und alten, kraftvollen Bäumen. Menschen sitzen in Gruppen zusammen, gehen zu zweit spazieren. Unter einer Rotbuche steht eine Gruppe im Kreis, jeweils zwei sind in intensivem Kontakt. Es wirkt auf mich lebendig und heilsam. Stefan und ich erinnern uns an das Haus der Stille. Auch da gab es im Garten eine mächtige Rotbuche. Auch in ihrem Schatten durfte sich Heilsames ereignen.

Unser Ziel am Vormittag ist jedoch die Gedenkstätte “gebrochener Ring“. Wie geht eine Gemeinschaft mit dem Trauma eines Amoklaufs in der Albertville Realschule um? Er hatte am 11. März 2009 stattgefunden und 15 Menschen das Leben gekostet. Ich habe von drei Gedenkstätten gelesen. Zwei sind in der Schule, die dritte in der Nähe. Da sind wir.

Mich überzeugt die Gestaltung. Der gebrochene Ring ist zugleich ein Ring mit einer Öffnung. Sie ist schmal. Es ist möglich hineinzugehen, aber es braucht eine Entscheidung. Ich gehe hinein, lese die Namen der Ermordeten und bete für sie und die, die sie lieben und vermissen.

Wie gut, dem Unfassbaren einen Ort und ein Symbol zu geben, wie heilsam!

Heute pilgern wir 21 Kilometer von Winnenden nach Esslingen. Und wieder bezaubert der Weg durch Obstgärten, Weinberge, Wald, Wiesen, einladende Dörfer.

Eine Christusfigur begegnet uns, die Arme weit ausgebreitet, segnend.

Und heute treffen wir das erste mal auf Menschen, die auch auf dem Jakobsweg unterwegs sind.

Bis Santiago de Compostella ist es noch weit. Für uns ist es der vorerst letzte Wegabschnitt, der uns nach Esslingen führt. Vielleicht liegt es daran, dass wir heute öfters auf unsere Pilgerschaft auf dem Jakobsweg angesprochen werden, immer sehr freundlich und hilfsbereit und begeistert:

bon camino!

Danke für den guten Weg heute.

Danke den Sonnenblumen und den Wolken, 

den Menschen und meinem Mitpilgerer.

Danke dem liebenden Segen.