Grundbedürfnisse

Jetzt endlich, am Samstag Abend regnet es. Ein Gewitter zieht auf. Wir sind in Murrhardt im Gasthaus Lamm bestens untergebracht und haben eben leckere vegetarische polnische Speisen genossen. Hier wird schwäbisch-polnisch gekocht. In der Murrhardter Zeitung ging es auf der Titelseite um Wasser und Wald. Das Trinkwasser wird knapper und der Wald leidet unter Dürre und in Zusammenhang damit unter Schädlingen, die mit Bäumen unter Dürrestress leichtes Spiel haben. Und wir spüren auf unseren Wegen so sehr, wie wir auf Wasser und Wald angewiesen sind.


Gestern war es nochmals richtig heiß. Wir steigen das wunderschöne Jagsttal hinab. Aus Langenburg hinaus führt eine Holzbrücke. Ein Kunstwerk, das eine Künstlerin aus der Region mit ihrer Kunst bereichert.

Das Bedürfnis nach Schönheit wird angesprochen.

Und dann steigt das Thermometer. “Ich schwitze, also bin ich“. Jedes Stückchen Wald ist eine Wonne.

Manchmal ist der Wald wie eine Kathedrale.

Aber der größte Teil des Weges ist heute ohne Waldschatten. Wir laufen an riesigen Feldern vorbei: Getreide, Raps, Mais, Zuckerrüben. Industrialisierte Landwirtschaft, bei der die Beziehung zwischen Mensch und Mutter Erde kaum erahnt werden kann.

Aber dann gibt es sie doch immer wieder: Die Oasen für die Insekten, für die Vielfalt, die wir so dringend brauchen. Auch Insekten haben Grundbedürfnisse. 

Na ja, für Südzucker wollte ich jetzt nicht werben. Aber dass das Anliegen der Biodiversität auch in der industrialisierten Landwirtschaft angekommen ist, das macht Mut.

Nach viereinhalb Stunden auf den Beinen machen wir Rast in Braunsbach. Es ist nun sehr heiß uns es gibt da einen Brunnen. Stefan zieht die Wanderschuhe aus und steigt hinein. Ich folge. Dann baden zwei Radfahrerinnen ihre Füße im Brunnen, ein Mann streckt seinen Fuß kurz hinein. Das tut so wohl und es leuchtet in keiner Weise ein, warum andere Schwitzende sich den Spaß verkneifen.

Wir übernachten in Schwäbisch Hall. Es ist eine Herberge voller Kreativität und Schönheit. Und doch: unser Dachzimmerchen ist einfach zu heiß. Und direkt nebenan donnern Autos, Busse, Lkws vorbei. Hitze und Lärm und wir haben noch keine Unterkunft für die nächste Nacht. Ich registriere meine Grundbedürfnisse: Angenehmes Klima, Ruhe, wissen, wo ich morgen schlafe. Und ich denke an die, deren Grundbedürfnisse über lange Zeiten nicht erfüllt werden.

In Schwäbisch Hall entdecken wir die Kreuzigungsgruppe des österreichischen Künstlers Alfred Hrdlicka. Sie lässt  in neuer und eindringlicher Weise uns die Qual so vieler Schwestern und Brüder mitfühlen.

Bei angenehmen Temperaturen und schönstem Wanderwetter pilgern wir nach Murrhardt. 

Davor kommen wir in Wolfenbrück vorbei, ein Dorf mit einer schönen und offenen Atmosphäre. 

Am Eingang des Dorfes eine Bank im Schatten mit Marienaltar, dann ein einladendes Café.

Ein Haus mit einer so grundlegenden Weisheit.

Und Menschen, die ein Dorffest am alten Backhaus vorbereiten. Es wird Brot gebacken und geteilt werden, das Grundbedürfnis nach Nahrung und Gemeinschaft bekommt Raum, auch nach Gemeinschaft mit denen, die vor uns waren. Ein Mann erzählt davon, wie weise so ein Backhaus gebaut ist. Die Dorfgemeinschaft hat es renoviert und das Dorfgedächtnis lebendig gehalten.